Leseproben ...

... aus "Blinde Passagiere"

In einer Gefahrenlage, sagt man, schärfen sich alle Sinne. Die Konzentration steigt ins Unerträgliche, mit der Schneide eines doppelseitig geschliffenen Dolches stoßen die Eindrücke in die überreizten Sinnesorgane. Auch wenn die Reize von schwacher Natur sind. Eine dunkle Schiffskabine, die Vorhänge dicht geschlossen, sodass ich nur Schatten wahrnehmen kann. Ein Stuhl, auf dem ich nackt in schmerzlich verkrümmter Haltung mit Panzerband verklebt bin.

Eine Stimme, die fast unablässig in mein Ohr flüstert und zu einem Mann gehört, der mich beständig umkreist, ein Tiger, der seine Beute zur Strecke gebracht hat, aber noch auf den rechten Appetit wartet.

In ermüdend gleichförmiger Weise kreist mein Peiniger um mich herum, die Hand auf meinem Kopf, seine Stimme ist sanft, fast zärtlich, erotisch motiviert, als er immer wieder die gleichen Worte spricht ... weiterlesen

... Pandora

Mit einem leisen, aber bestimmten "Klong" landete der Ehering aus Silvias Hand auf dem Küchentisch. Einsam lag er da, der geschliffene Brilliant brach das Licht der Strahler über der Arbeitsfläche in winzige Regenbögen. Der gebürstete  Edelstahl der Küchengeräte deutete durch seine kühle sterile Sauberkeit an, dass hier selten gearbeitet und noch seltener gelebt wurde.

Sie ging aus der Küche in das Atelier, mit seinen bodentiefen Fenstern. Wie immer überwältigte sie der Ausblick. Es war fast Mitternacht, aber stets waren die Konturen Berlins von unzähligen Lichtern wie von Sternen nachgezogen. Die breiten Bänder der Einfallsstraßen, auf denen die Autos mit paarigen Leuchten fuhren, schienen wie Perlen einer zweireihigen Kette, die sich unablässig drehte. Chaotisches Gewusel von Spaziergängern, die wie Schattenwesen vor den Schaufenstern auftauchten und wieder unkenntlich im Dunkel verschwanden. Fast meinte man, aus dem Meer der Bewegung Stimmen zu hören, Hupen, Schreie, röhrende Autos. Sie starrte  aus der stillen Blase der Wohnung hinaus in das pulsierende Leben, als hätte das gar nichts mit ihr zu tun, sie war isoliert, beobachtend, nicht eingreifend, alles ertragend. Das sollte sich heute Abend ändern.

Es war der Moment gewesen, als sie den Telefonhörer auflegte... weiterlesen

... Rechtzeitig

Feddersen lebte ein ausgesprochen wohl geordnetes Leben. Er stand jeden Morgen um die gleiche Zeit auf, kam um die gleiche Zeit zur Arbeit, aß in der Kantine zur gleichen Zeit zu Mittag. An einem Donnerstag im November verließ Feddersen seine Arbeitsstelle wie immer pünktlich um 17.30 Uhr. Der Pförtner in der Eingangshalle sagte: "Pünktlich wie immer, Herr Feddersen." "Stimmt genau", sagte Feddersen und lachte freundlich, "auf Wiedersehen". Diese feste Struktur in seinem Tagesablauf gab ihm Orientierung? und die hatte er im Alltag bitter nötig. 

Nachdem er die üblichen drei Minuten an der Haltestelle gewartet hatte, stieg Feddersen in einen Bus der Linie 60. Dabei wechselte er ein paar freundliche Worte mit dem Busfahrer Willy Otremba, den er schon seit Jahren kannte. Feddersen ging zu seinem Stammplatz, nahe der hinteren Tür, erst als er saß, fuhr Otremba an. Gerade als Feddersen sein Buch heraus geholt hat, stutzte er... weiterlesen